philosopHERs
as an art inspiration
Ausstellungsreihe Frühling - Herbst 2023
In der Vergangenheit wurden Frauen immer wieder aus dem philosophischen Diskurs verdrängt. Ihre Arbeiten wurden vergessen, geklaut oder vernichtet. Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, die Werke von Philosophinnen in den Mittelpunkt des Diskurses zu stellen – auf eine besondere Weise. Jeden Monat sehen Sie hier im Kunstschaufenster künstlerische Reflexionen zum Werk oder der Persönlichkeit (oder auch einer Überschneidung zwischen beidem) einer Philosophin.* Die ausgestellten Werke verschiedener Künstler_innen nehmen auf diverse Aspekte in Leben und Schaffen von einer Philosophin Bezug und möchten eine weitere Auseinandersetzung mit dieser anregen. Lassen Sie sich begeistern, merken Sie sich den Namen der Philosophin und erkunden Sie – wenn Sie mögen – noch genauer die Gedankenwelt der Philosophin. Es lohnt sich!
Die Ausstellungsreihe philosopHERs as an art inspiration im Kunstschaufenster wird kuratiert von Prof. Dr. Carla Schriever (Internationale Hochschule Hannover), PD Dr. Betti Hartmann (University College London) und Dr. Viola Rühse (Universität Krems für Weiterbildung Krems). Die Kunstinitiative steht in Zusammenhang mit der kürzlich im UNRAST Verlag erschienenen Publikation Vordenkerinnen: Physikerinnen und Philosophinnen durch die Jahrhunderte von Prof. Dr. Carla Schriever und PD Dr. Betti Hartmann.
* Unsere Ausstellungsreihe integriert Philosophinnen, die sich als Frauen, Lesben, nicht-binäre oder queere Menschen verstehen.
Aktuelle Präsentation
Amelie Schnell | Was ist Glück? | Interaktive Installation 2023
Die Frage „Was ist Glück?“ beschäftigt die Menschheit seit jeher. Heute kursieren für Glück gefühlt unendlich viele Definitionen und zum Glücklich sein noch mehr Ratschläge in allen möglichen Medien – online wie offline. Es gibt Glückscoaching, Glücksforschung, Glück-Festivals, das Glücksrad, Glücksbringer und vieles mehr. Unzählige Meinungsforschungsinstitute führen Studien zu Glück durch. Was jede/r Einzelne als Glück empfindet, lässt sich allerdings nicht nur in Statistiken oder akademischen Theorien abbilden. Denn Glück ist so individuell und vielfältig, wie die Menschen es sind. Im Alltag fehlt jedoch oft der gegenseitige Austausch darüber, was Glück ist. Daher möchte Amelie Schnell den Passant_innen des Kunstschaufensters Gelegenheit geben, ihre persönliche Glückvorstellung über den QR-Code in einer digitalen Wortwolke zu teilen (www.answergarden.ch/3201276).
Für Émilie du Châtelet (1706 – 1749) ist Glück beispielsweise die Liebe zur Wissenschaft. In ihrer Rede vom Glück schreibt die Philosophin und Naturwissenschaftlerin: „Je weniger unser Glück von anderen abhängig ist, desto leichter gelingt es uns, glücklich zu sein. […] Aus diesem Grund, der Unabhängigkeit nämlich, ist auch die Liebe zur Wissenschaft unter allen Leidenschaften die, welche am meisten zu unserem Glück beiträgt.“ (Châtelet, 1779/2008, 36 f.). Sie machte auch darauf aufmerksam, dass ihren männlichen Zeitgenossen mehr Wege als die Wissenschaft zum Glück offenstanden, etwa die Diplomatie. Émilie du Châtelet war natürlich eine sehr privilegierte Frau und Ausnahmepersönlichkeit im 18. Jahrhundert. Dies verdeutlicht, dass Glück immer auch abhängig von der jeweiligen Gesellschaft und
der individuellen Situation ist.
Amelie Schnell M.A. setzte sich während ihres Studiums der Pädagogik schwerpunktmäßig mit den Themen diskriminierungssensible Pädagogik und Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung auseinander. Aktuell arbeitet sie in einem Präventionsprogramm gegen jede Form von Extremismus, Rassismus und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit mit Jugendlichen an Schulen und engagiert sich für die Sichtbarmachung von Frauen aus Geschichte und Gegenwart.
Literatur: Châtelet, É. du. (2008). Rede vom Glück (6. Aufl.). Berlin: Friedenauer Presse [der 1747 verfasste Text erschien postum zum ersten Mal 1779].
Präsentation August 2023
Lilli Förster | Klarheit oder Wirrwarr | 2023
Eine fotokünstlerische Auseinandersetzung mit Margaret Anscombes Moralphilosophie
Lilli Förster setzt sich in ihrer Fotocollage künstlerisch mit der Philosophin Elizabeth Anscombe (1919-2001) auseinander. Anscombe war Studentin bei Ludwig Wittgenstein, dessen Lehrstuhl in Cambridge sie ab 1970 übernahm und dessen Werke sie mit herausgab. Ascombes eigenes Werk ist sehr vielschichtig und interdisziplinär; es reicht von Moralphilosophie, Philosophie des Geistes und der Psychologie, Sprachphilosophie, Metaphysik über Religionsphilosophie bis zu politischer Philosophie. Zu ihren bekanntesten Werken zählen „Modern Moral Philosophy“, in: Philosophy 33 (1958) und Intention, Oxford: Basil Blackwell (1957).1
Anscombe scheute sich nicht vor Konfrontationen; beispielsweise erkennt sie der Moralphilosophie ihrer Zeit ab, irgendeinen signifikanten Wert für die Menschen zu haben und entlarvt sie als abstrakte, wabernde Worthülsen.2 Anscombes philosophische Arbeit formt dabei kein System, sondern Anscombe bezieht sich auf Beispiele und integriert klare konkrete Beschreibungen, statt auf abstrakte Regeln oder die bisher gebräuchlichen Herangehensweisen zurückzugreifen. In der Fotocollage von Lilli Förster steht inspiriert von Elizabeth Anscombe daher ein bewusstes, klares Wahrnehmen eines individuellen Einzelfalles dem abstrakten und undurchdringlichen Wirrwarr aus Begriffskonstruktionen gegenüber.
Lilli Förster schreibt nach dem Abschluss ihrer Masterarbeit an der Universität Frankfurt am Main über „Wittgenstein und Tolstoi. Zwei Konzepte der Kommunikation“ derzeit ihre Doktorarbeit zu Tolstoi und Wittgenstein und dem Verhältnis von Kunst und Leben. Zu den veröffentlichten Artikeln gehören unter anderem „Art is Serious, Life is Serene“, in: The Polish Journal of Aesthetics, Nr. 61, 2021 und „Against the High Culture – On Leo Tolstoy's Aesthetics“, in: Proceedings of the European Society für Ästhetik, Bd. 12. 2021.
1 Wiland, Eric und Julia Driver, "Gertrude Elizabeth Margaret Anscombe", The Stanford Encyclopedia of Philosophy (Fall 2022 Edition), Edward N. Zalta & Uri Nodelman (eds.), https://plato.stanford.edu/archives/fall2022/entries/anscombe/, 2.7.2023).
2 Anscombe, G. E. M., „Modern Moral Philosophy“, Philosophy. The Journal of the Royal Institute of Philosophy (January 1958, Vol. XXXIII, No. 124).
Präsentation Juli 2023
Jacqueline Hackl | Borderlands – Tomatenpflanzengeruch | 2023
Die Arbeit ist in Auseinandersetzung mit den Texten zu borderlands der amerikanischen Autorin und Aktivistin Gloria Anzaldúa entstanden.* In diesen ist die Verkörperung von Erfahrung und Wissen zentral, welche die Verbindung mit Gerüchen und Geschmäcken mit sich bringen kann. Bewusstseinsbildung durch die stärkere Berücksichtigung auch von taktilen, olfaktorischen und geschmacklichen Erfahrungen ist für Gloria Anzaldúa wichtig.
Hiervon inspiriert hat Jacqueline Hackl eine Darstellungsform für ihre eigenen Grenzländer kreiert. Die Schriften von Gloria Anzaldúa werden dabei auf eine persönliche Weise reflektiert, indem Jacqueline Hackl Erinnerungen aus ihrer eigenen Vergangenheit mitberücksichtigt. So möchte Jacqueline Hackl mit der Arbeit auch ihre Großeltern würdigen, insbesondere ihre Großmutter:
„Mit ihr verbinde ich das titelgebende Wort „Tomatenpflanzengeruch“. Es drückt zugleich die Körperlichkeit meiner borderland-Erfahrungen aus – in der Form eines Handarbeitsstückes, in dem verschiedene Techniken vereint werden, die ich von meiner Mutter und meiner Großmutter erlernen konnte.“
Jacqueline Hackl ist Universitätsassistentin am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Wien. Sie lehrt und forscht zu Ungleichheit und Bildung im Kontext von Schule, Hochschule und Biographie insbesondere mittels Biographieforschung und kollektiver Erinnerungsarbeit.
* Siehe u. a. Anzaldúa, Gloria (2007): La consciencia de la mestiza. Towards a New Consciousness. In: dies.: Borderlands. La Frontera. The New Mestiza, 3. Aufl., San Francisco: Aunt Lute Books, S. 99-120.
Präsentation Mai / Juni 2023
Carina Silvia Manger | Selbst-Verantwortung und Selbst-Denken / Verstehen
Installationsfotos 2023
Erläuterung der Künstlerin (for English version see below):
Was bedeuten Selbst-Verantwortung, Selbst-Denken und Verstehen für eine*n jede*n Einzelne*n von uns? Eine Frage, die ich mir selbst schon oft gestellt habe und nur selten klar beantworten kann. In der Auseinandersetzung mit dem Kunstprojekt habe ich nicht lange überlegen müssen, mit wem ich mich auseinandersetzen bzw. wen ich präsentieren möchte. Über das konkrete Thema und die Umsetzung dessen hingegen schon länger. Was hat es mit dem (Nach-)Denken auf sich und was hat es ganz basal mit uns selbst zu tun? Sind es uns selbst „schuldig“, (nach) zu denken? Wenn ja, warum und worüber? Schuld und Schuldig-Sein sind im Allgemeinen negativ konnotierte Ausprägungen einer positiven (ver-antwort-ungsvollen) Haltung (zu sich selbst), zu der ich mit diesen Werken inspirieren will.
Hannah Arendt will nicht wirken – „Nein, ich will verstehen.“1 Verstehen als zentraler Zugang zu Erfahrungen sind für Hannah Arendt eine nicht wegzudiskutierende Haltung - zu Welt und zu sich selbst. Zu verstehen, insbesondere sich selbst zu verstehen, ist in vielerlei Hinsicht eine Kunst. Eine, die sich gar nicht richtig greifen oder gar darstellen lässt. „Arendts Werke schaffen etwas Neues und rufen die Leser*innen dazu auf, ihre eigene Positionierung kritisch zu hinterfragen.“2
Auch Marie-Luisa Frick ruft ihre Leser*innen dazu auf, sich selbst und ihr Denken kritisch zu hinterfragen. „Selbstdenker ist nicht derjenige, der bequem in seinem eigenen Baum der Erkenntnis sitzt, sondern derjenige, der an diesem Baum auch hin und wieder kräftig rüttelt. […] Denn nichts gilt, weil es gilt. Alles könnte anders sein.“3 Anders sein könnte vor allem die Situation für viele Frauen auf diesem Planeten in ihren individuellen und gemeinsamen Lebenswelten. So formuliert Frick in ihrem Buch Mutig denken deutlich, dass „das Anliegen der Bildung und Befähigung von jungen Frauen im dritten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts [nicht] als abgehakt in die Schaukästen der Kulturgeschichte“4 gelegt werden kann. „Die Gegenwart ist weiblich“5, wie Slavoj Žižek es benennt, und soll es auch bleiben.
Das Benennen von Personen - ihr Name - hilft uns beim Denken und Verstehen. Dieser Schritt verbindet uns mit ihnen. Sie leiten uns an, unser Denken kritisch zu hinterfragen und damit Verantwortung für uns selbst zu übernehmen. Die Flächen aus unterschiedlichen Farben geben uns die Möglichkeit, facettenreich zu sein - wie Denken, Verstehen und Verantwortung. Die erste Verantwortung einer / eines jeden liegt darin, sich auf den Prozess einzulassen.
Daher lade ich dich ein, dir folgende Fragen zu stellen: Was denkst du im Moment? Wie verstehst du die Bilder? Wozu inspirieren sie dich?
1 Arendt, Hannah (2006): Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Werk und Leben. Ursula Ludz (Hrsg.), München: Piper, S. 48. Zitiert nach Rehm-Grätzel, Patricia (2008): Handeln als gelebter Wert: Aus Hannah Arendts Leben und Werk. Mainz : Dr.-Ing.-Hans-Joachim-Lenz-Stiftung, S. 10. | 2 Hartmann, Betti / Schriever, Carla (2021): Vordenkerinnen. Physikerinnen und Philosophinnen durch die Jahrhunderte. Münster: Unrast Verlag, S. 51. | 3 Frick, Marie-Luisa (2020): Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess. Ditzingen: Reclam Verlag, S. 38. | 4 Ebenda, S. 47. | 5 Žižek, Slavoj (2023): Die Gegenwart ist weiblich. In: philosophie Magazin: Impulse für 2023, Berlin, Sonderausgabe Nr. 23, S. 120.
Carina Silvia Manger, M.A. / M.A. hat zwei Masterabschlüsse in Philosophie und Filmwissenschaft an der JGU Mainz erworben. Sie forscht zu Konfliktstrukturen, (im)materiellen Ambivalenzen, Verantwortung sowie der Vermittlung und Übersetzung zwischen den Generationen unter besonderer Berücksichtigung der Rechte der nachkommenden Generation. 2022 hat sie ihren ersten Sammelbandbeitrag zu (im)materiellen Ambivalenzen in Filmen veröffentlicht.
English version:
Carina Silvia Manger | Self-responsibility and Self-thinking / Understanding
Installation images 2023
Artist statement:
What do self-responsibility, self-thinking and understanding mean for each and every one of us? A question that I have asked myself many times and can rarely answer clearly. In dealing with the art project, I didn't have to think long about who I wanted to deal with or who I wanted to present. On the other hand, the specific topic and the implementation of it have been going on for some time. What is it all about thinking and reflecting and what does it have to do with ourselves? Do we "owe" ourselves to think and reflect? If so, why and about what? Guilt and guiltiness are generally negatively connoted manifestations of a positive (responsible) attitude (towards oneself), which I want to inspire with these works.
Hannah Arendt doesn't want to take effect - "No, I want to understand."1 For Hannah Arendt, understanding as a central access to experience is an attitude that cannot be ignored - to the world and to ourself. Understanding, especially understanding oneself, is an art in many ways. One that can't really be grasped or even represented. "Arendt's works create something new and invoke readers to critically question their own positioning."2
Marie-Luisa Frick also invokes her readers to critically question themselves and their thinking. "Self-thinker is not the one who sits comfortably in his own tree of knowledge, but the one who shakes this tree vigorously from time to time. [...] Because nothing applies because it applies. Everything could be different."3 Above all, the situation could be different for many women on this planet in their individual and common worlds. For example, Frick clearly states in her book Courageous Thinking that "the concern for the education and empowerment of young women in the third decade of the 21st century [cannot] be placed as ticked off in the showcases of cultural history"4. "The present is female"5, as Slavoj Žižek names it, and should remain so.
Naming people - their names - helps us to think and understand. This step connects us to them. They guide us to critically question our thinking and thus take responsibility for ourselves. The surface of different colors gives us the opportunity to be multifaceted - such as thinking, understanding and responsibility. The first responsibility of each person is to get involved in the process.
Therefore, I invite you to ask yourself the following questions: What are you thinking at the moment? How do you understand the paintings? What do they inspire you to do?
1 Arendt, Hannah (2006): Ich will verstehen. Selbstauskünfte zu Werk und Leben. Ursula Ludz (ed.), Munich: Piper, p. 48. Quoted in Rehm-Grätzel, Patricia (2008): Handeln als gelebter Wert: Aus Hannah Arendts Leben und Werk. Mainz: Dr.-Ing.-Hans-Joachim-Lenz-Stiftung, p. 10. | 2 Hartmann, Betti / Schriever, Carla (2021): Vordenkerinnen. Physikerinnen und Philosophinnen durch die Jahrhunderte. Münster: Unrast Verlag, p. 51. | 3 Frick, Marie-Luisa (2020): Mutig denken. Aufklärung als offener Prozess. Ditzingen: Reclam Verlag, p. 38. | 4 Ibid., S. 47. | 5 Žižek, Slavoj (2023): Die Gegenwart ist weiblich. In: philosophie Magazin: Impulse für 2023, Berlin, special issue, no. 23, p. 120.
Carina Silvia Manger M.A. / M.A. earned two master's degrees in philosophy and film studies from JGU Mainz. She researches conflict structures , (im)material ambivalences, responsibility as well as mediation and translation between generations with a special focus on the rights of the next generation. In 2022 she published her first anthology contribution on (im)material ambivalences in movies.
Präsentation April 2023
Carola von der Dick | „Stay with the trouble“ – Crouching Critter am Weißen See
Fotografie auf Leinwand gedruckt, 2023 (Modell: Kupalua als Kritter)
Erläuterung der Künstlerin (for English version see below):
Der Baum, in dem dieses Kritter wohnt, steht am Weißen See in Berlin. Bis 2016, als ich in der Nähe wohnte, ging ich dort regelmäßig schwimmen. Unglaublich, dachte ich, dass ich an einem so schönen Ort schwimmen gehen kann, mitten in der Stadt! Nachdem ich aus der Nachbarschaft weggezogen war, kam ich erst 2018 wieder an den See zurück. Ich war schockiert, als ich entdeckte, dass es jetzt zwei Meter ‚Strand‘ zusätzlich gab, aus feuchtem, aber begehbarem Schlamm. Trotzdem hatten die Leute ihre Handtücher darauf ausgebreitet. Ich konnte mich nicht dazu überwinden, schwimmen zu gehen, der See kam mir nun eher vor wie eine warme Pfütze voller Algen.
Die trockenen Sommer der letzten Jahre hatten den Grundwasserspiegel in Berlin und dem umliegenden Brandenburg weiter sinken lassen, und die Versuche, den See mithilfe einer Pumpe und Wasser aus einer nahe gelegenen Quelle wieder aufzufüllen, waren kostspielig und zeigten wenig Wirkung. Die zwei Meter zusätzlicher ‚Strand‘ stehen exemplarisch für den Klimawandel und andere Probleme, mit denen wir im Anthropozän konfrontiert sind. Wie werden die Stadt Berlin und das Land Brandenburg in ein paar Jahrzehnten aussehen, mit so wenig Wasser?
Mit ihrer Idee von Staying with the trouble bietet Donna Haraway einen Ausweg aus dem Gefangen sein zwischen Optimismus („irgendeine neue Technologie wird alle Probleme lösen und uns retten“) und Pessimismus („es ist sowieso zu spät etwas zu ändern, wir sind verloren“), den beiden häufigsten Reaktionen auf die Schrecken des Anthropo- und Kapitalozäns.1 Sie erzählt Geschichten, die uns herausführen aus dem „Irrgarten der Dualismen“2, mit denen wir unsere Verhältnisse zu erklären versuchen wie Selbst/Andere, Geist/Körper, Mann/Frau, primitiv/zivilisiert, Organismus/Maschine, Tier/Mensch, aktiv/passiv. Der Dualismus von Natur/Kultur hat sich überlebt und ist sogar schädlich, argumentiert Haraway, da wir die unlösbaren Verflechtungen zwischen Natur und Kultur nicht begreifen. Dualismen lassen die Dinge einfacher erscheinen, aber:
„Es ist unsere Aufgabe, Unruhe zu stiften, zu wirkungsvollen Reaktionen auf zerstörerische Ereignisse aufzurütteln, aber auch die aufgewühlten Gewässer zu beruhigen, ruhige Orte wieder aufzubauen. […] Unruhig zu bleiben erfordert […] es zu lernen, wirklich gegenwärtig zu sein. Gegenwärtigkeit meint hier nicht einen flüchtigen Punkt zwischen schrecklichen oder paradiesischen Vergangenheiten und apokalyptischen oder erlösenden Zukünften, sondern die Verflechtung von uns sterblichen Krittern mit unzähligen unfertigen Konfigurationen aus Orten, Zeiten, Materien, Bedeutungen.“3
In dem Wesen auf dem Baum verschwimmen Grenzen zwischen Mensch und Nicht-Mensch. Es ist wahrhaftig anwesend, mit all seinen Sinnen wachsam gegenüber dem trüben, schlammigen Wasser, vielleicht bereit zum Sprung. Gleichzeitig verschmelzen Handfläche und eine Wölbung im Baumstamm ineinander und „treiben Wurzeln hinein ins Planthropozän“.4 Wenn Donna Haraway von „Krittern“ spricht, dann nicht, um eine kreatürliche Ähnlichkeit zu behaupten, sondern um speziesübergreifende Lebensformen anzuerkennen und zu pflegen. Von dieser Vorstellung auszugehen, würde bedeuten, in koevolutionäre und forschende Beziehungen zu treten. Sie hat viele andere dazu inspiriert, unsere Beziehungen mit und als Mehr-als-Menschen zu überdenken und zu fragen, wie fürsorgliche und verantwortungsvolle Beziehungen aussehen könnten.
1 Haraway, Donna (2016), Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Durham: Duke University Press, S. 3. | 2 Haraway, Donna (1991), Simians, Cyborgs and Women: The Re-Invention of Nature. New York: Routledge, S. 163. | 3 Haraway, Donna (2016), op. cit., S. 1. | 4Myers, Natasha (2021), How to grow liveable worlds. Ten (not-so-easy) steps for life in the Planthroposcene, ABC, 7.1.2021, https://www.abc.net.au/religion/natasha-myers-how-to-grow-liveable-worlds:-ten-not-so-easy-step/11906548 (Abruf am 6.4.2023).
English version:
Carola von der Dick | “Stay with the trouble” - crouching critter at Weißer See
Photography printed on canvas, 2023 (model: Kupalua as critter)
Artist statement:
The tree inhabited by this critter is at Weißen See, a lake in Berlin, that I used to go swimming in regularly when I lived close by until 2016. Incredible, I thought, that I could go swimming in such a beautiful place, while I was in the middle of Berlin! After moving away from the neighborhood, I only came back to visit the lake around 2018. I was shocked to discover that there were now two meters of additional “beach”, made up of moist but walkable mud. People had their towels spread out on it, nonetheless. I couldn’t convince myself to go swimming, I saw now in the lake rather a warm puddle full of algae.
The dry summers of the past years had caused the ground water levels of Berlin and the surrounding Brandenburg to further drop and attempts to refill the lake by pumping in water from a nearby source were costly and showed little effect. The two meters of additional "beach" exemplify climate change, and other problems we face in the Anthropocene. What will the city of Berlin and the federal state of Brandenburg look like in a few decades with such a lack of water?
With her idea of Staying with the trouble, Donna Haraway has offered a way out of getting stuck between optimism (“some new technology will solve all problems and save us”) and pessimism (“it’s too late anyway to try to change anything, we are doomed”), the two most common responses to the horrors of the Anthropo- and Capitalocene.1 She tells stories that help us find ways out of “the maze of [troubling] dualisms”2, such as self/other, mind/body, men/woman, primitive/ civilized, organism/machine, animal/human, maker/made. The dualism of nature/culture has outlived its usefulness and is even harmful, she argues, as we fail to grasp the insoluble entanglements between nature and culture. Dualisms make things appear simple, but:
“Our task is to make trouble, to stir up potent response to devastating events, as well as to settle troubled waters and rebuild quiet places. […] In fact, staying with the trouble requires learning to be truly present, not as a vanishing pivot between awful or edenic pasts and apocalyptic or salvific futures, but as mortal critters entwined in myriad unfinished configurations of places, times, matters, meanings.”3
The critter squatting in the tree blurs boundaries between human and non-human. It is truly present, alert with all its senses to the muddled waters, maybe preparing to jump. At the same time, its palm and the trunk of the tree are melting into one another, “rooting into the Planthropocene” 4. When Donna Haraway talks about critters, it is not to assert a creaturely similarity, but rather to recognize and nurture multispecies life forms. And to proceed from this idea would mean to enter coevolutionary and exploratory relations. She has inspired many others to rethink our relations with and as more-than-humans, and to ask how caring and responsible relationships would look like.
1 Haraway, Donna (2016), Staying with the Trouble: Making Kin in the Chthulucene. Durham: Duke University Press, p. 3. | 2 Haraway, Donna (1991), Simians, Cyborgs and Women: The Re-Invention of Nature. New York: Routledge, p. 163. | 3 Haraway, Donna (2016), op. cit., p. 1. | 4Myers, Natasha (2021), How to grow liveable worlds. Ten (not-so-easy) steps for life in the Planthroposcene, ABC, 7.1.2021, https://www.abc.net.au/religion/natasha-myers-how-to-grow-liveable-worlds:-ten-not-so-easy-step/11906548 (accessed April 6, 2023).
Präsentation März 2023
Home | Arbeiten von Marie Moldenhauer (Hamburg)
Der Comic zeigt, wie strukturelle Probleme unserer Gesellschaft uns im Alltäglichen umgeben. In ihrer Alltäglichkeit bemerken wir sie häufig nicht – und wenn doch erscheinen sie schnell überwältigend. Das „darüber-reden“ wird essentiell, um diesem Gefühl der Überwältigung zu begegnen und gemeinsam mit anderen Wege zu finden, diese Probleme zu überwinden.
Die Zeichnung zeigt eine 1-Dollar-Münze, welche von einem Penis umkreist wird. Die beiden Symbole können u. a. als Planet und sein Mond oder als Atom mit umkreisendem Elektron verstanden werden. So soll zum Nachdenken darüber angeregt werden, wie kapitalistische und patriarchale Machtstrukturen unser Zuhause – den Planeten Erde – vom Größten bis zum Kleinsten durchziehen und beeinflussen.